Nachgedacht – Virtuelles Date

Ich habe das Gefühl, dass es wirklich immer schwerer wird, einen vernünftigen Menschen kennenzulernen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber schon nach den ersten Sätzen, die beide wechseln, merkt jede*r irgendwie sofort, dass es entweder langweilig oder spannend wird. Meistens kommt doch eher Langeweile auf oder das Handy ist quasi wichtiger. Denn eines ist eh klar, das bestellte Essen muss unbedingt noch fotografiert werden, weil diese Dekoration auf diesem Teller und das Essen so unfassbar Hammer - geil - unbeschreiblich - cool aussehen, das garantiert die Welt noch nicht gesehen hat. Dann frage ich mich, ob ich zu hohe Ansprüche stelle, aber dann sag’ ich mir auch immer wieder: Dass es nicht falsch ist, denn immerhin biete ich ja auch einiges und da muss jemand mir schon das Wasser reichen können. Egal, ich werde mich jetzt jedenfalls fertig machen und dann feiern gehen.

Erkennst du dich wieder? Dieses Gefühl kennen die meisten, es soll endlich (wieder) „Klick“ oder „Boom“ machen. Die einen Schreiben über zehn Nachrichten auf ihrer Lieblingsapp täglich, die anderen bekommen über hundert Nachrichten pro Monat. Mal mit Niveau und doch oft eher nicht: „Kann ich deine Schlüpfer haben“, „suchst du was zum vögeln“, „ich kann super gut massieren, willst du mal eine Kostprobe?“, „von dir würde ich gern Fotos machen, nackt“, „darf ich deine Socken bekommen, den Socken wird viel zu wenig Aufmerksamkeit gespendet“? Alles, aber wirklich alles findet jede*r im virtuellen Netz und da darf ja jede*r so sein, wie er oder sie eigentlich ist. So schön anonym kann sie/er sich richtig gehen lassen und seinem/seiner Auserwählten alles „beichten“. Was sie/er schon immer mal ausprobieren oder loswerden wollte. Das geht von den Socken, über ausgefallene Spielchen bis hin zu Extremen. Ob derjenige als Status „vergeben“ oder „verheiratet“ hat, spielt hier mittlerweile keine Rolle mehr. Alles, was attraktiv ist, wird angeschrieben und auf Antwort gewartet. Klar, haben hier Männer anscheinend das typische Verhalten „so viel wie geht“ und so bleibt es meist nicht bei einer Auserwählten. Sondern es werden schon mindestens drei. Dann erhofft man sich von mindestens einer eine Antwort. Viele haben Glück, andere eben weniger und das sind größtenteils die Versender, wenn sie dann gar nichts zurückerhalten. Beim ersten Mal getreu dem Motto „dann halt nicht“. War wahrscheinlich der falsche Text oder ich hab’s einfach nicht gut herübergebracht. Beim zweiten Mal ohne Antwort wird man hier schon etwas nachdenklicher und kritisiert sich selbst. Aber wehe es passiert dann noch öfter als einige Male, dann ist für einige schon das ganze entschieden. Ich bin zu hässlich, mich will niemand, ich bin zu langweilig, die Palette an Selbstkritik ist lang. Oder es gibt die Variante von „was ist nur mit diesen dummen Frauen los“ und dann wird gleich richtig ausgeteilt. Mich erinnert dieses Anschreiben und Anbieten in diesen endlosen teuren Apps und Internetseiten immer an einen Balztanz aus dem Tierreich. Klar, darauf haben dann irgendwie viele so überhaupt keine Lust mehr darauf …

Und für alle, die sich nun sagen, ja, aber das ist doch nur bei Männern so, die schreiben doch alles an „was bei drei nicht auf dem Baum ist“. Das stimmt so leider nicht, denn ebenso Frauen haben irgendwie eine gewisse „Torschuss Panik“. Es kommt nur auf die gewählte Plattform darauf an, klar gibt es Sexseiten wo Frauen überschwemmt werden mit Nachrichten und selbst überhaupt nicht aktiv sein müssen, sondern eben sich wie schon erwähnt den besten Balztanz auswählen können. Aber es gibt auch einige Plattformen/Apps wo Frauen aktiv sind oder aktiv werden müssen. Das ist dann irgendwie so was mit Gleichberechtigung, voll verrückt. Eine Frau Mitte vierzig schrieb mir mal nach einer gewissen Länge einer Unterhaltung, dass sie unglaublich gut blasen könne und sie meinte damit nicht, dass sie gut im Kerzen ausblasen war. Ein paar werden vielleicht nun denken, das war bestimmt keine Frau, sie war verifiziert, sie war es definitiv.

Wahrscheinlich ist die richtige Mischung, eine eindeutige Vorstellung zu haben, an dieser wenig abzuweichen und zu warten, was das so komme. Ich finde die Menschen am besten, die offen durchs Leben gehen, denn nicht immer spielt sich das Leben/Schicksal im virtuellen Netz ab. Eben mit offenen Augen ab und zu mal die Leute auf der Straße anschauen. Und wenn das Schicksal dann nicht weit ist, passiert es plötzlich und unerwartet. Viele haben sich einfach auf der bequemsten Art ausgeruht, wir haben ja alle keine Zeit mehr und das Internet ist doch so toll, aber die Kleinigkeiten spielen sich auch abseits davon ab. Das Internet wurde eine interessante Alternative, trotzdem sollte es nicht zum alleinigen Lösungsweg werden. Denn küssen kann man sich dann nicht virtuell, sondern das ist real doch ganz angenehmer. Aber das dürfte klar sein. Ergreift doch einmal selbst Initiative, abseits von Klischees, der Mann muss/sollte den ersten Schritt machen. Denn tatsächlich finden sich zwei Menschen oft durch das mysteriöse Schicksal und dafür muss keine*r Unmengen an Geld ausgeben …

Vieles wurde in der Ich-Perspektive formuliert, ohne dass dies einen Rückschluss – oder eine ableitbare/interpretierbare Situation – erzeugen oder darstellen soll.

Diese Geschichte ist eine überarbeitete/korrigierte/verbesserte Version.


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